Finanzen

Barazon: Was wirklich hinter dem Filialsterben bei den Banken steckt

Hinter dem Filialsterben deutscher Banken stecken ganz andere Gründe, als öffentlich immer gepredigt wird. Europa hat sich mit einer strategischen Fehlentscheidung international selbst ins Abseits gestellt, schreibt Ronald Barazon.
30.07.2022 09:03
Lesezeit: 6 min
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Barazon: Was wirklich hinter dem Filialsterben bei den Banken steckt
In Deutschland schließen Banken immer mehr Filialen - zum Nachteil der Wirtschaft. (Foto: dpa)

Tausende Bankfilialen wurden in den letzten Jahren schon geschlossen, weitere werden folgen. Als ob diese Stellen zu nichts gut gewesen wären, gleichsam nur dekorativ die Präsenz des jeweiligen Instituts markiert hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bankstellen haben die Unternehmen und die Privathaushalte konstruktiv begleitet und einen volkswirtschaftlichen Nutzen geschaffen, der jetzt fehlt.

Angesichts der wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten wäre eine Renaissance der Banken, die Kunden tatsächlich betreuen, dringend notwendig. Es braucht eine aktive Kreditvergabe, eine professionelle Anlageberatung, eine Begleitung der Unternehmen und Privaten in Finanzfragen, damit die Wirtschaft funktioniert. Geschlossene Filialen können diese Leistungen nicht erbringen.

Nicht die Automation ruiniert die Filialen, sondern das Korsett der Regulierung

In der Diskussion über Bankenfragen wird die eigentliche Ursache des Filialsterbens kaum thematisiert: Die in den vergangenen fast vierzehn Jahren seit der Finanzkrise 2008 erlassenen Vorschriften machen die Ausübung des traditionellen Bankgeschäfts in vielen Fällen unmöglich und so braucht man die Stellen tatsächlich nicht. Vermeintlich. Man braucht sie mehr denn je, sie können nur ihre Aufgabe nicht erfüllen. Das Kernstück der Regelungen bildet das als „Basel III“ bekannte Paket von Bestimmungen, die 2010 entworfen wurden und seit damals ständig verschärft werden. Dass dieses Korsett die Branche lähmt, darüber wird nicht gerne besprochen. Man zieht es vor, die Automation als Ursache des Filialsterbens zu bezeichnen. Die Barabhebungen an den Automaten und die Zahlungen über das Online-Banking würden doch zeigen, dass sich die Kunden selbst bedienen.

Ohne Bankkredite können sich die Unternehmen nicht entwickeln

Für diese zwei banalen Tätigkeiten benötigt man tatsächlich keine Bankstellen mit qualifizierten Mitarbeitern. Die Bankbetreuer wären aber gefordert, interessante Finanzierungsmöglichkeiten zu erkennen und Kredite bereitzustellen. Womit weniger die neuerdings sehr beliebten Darlehen für den Kauf von viel zu teuren Wohnungen gemeint sind. Angesprochen seien die zahllosen Klein- und Mittelbetriebe, in denen die Kreativität von heute das Wirtschaftswachstum von morgen entstehen lässt. Diese Unternehmen können sich nur mit Hilfe eines Bankkredits behaupten, da sie keinen anderen Finanzierungsweg haben, solange es in Europa keinen funktionierenden, größeren Kapitalmarkt gibt. Doch gerade in dem für den Erfolg einer Volkswirtschaft entscheidenden Kreditbereich schlägt die Regulierung beinhart zu.

In den Aufsichtsbehörden träumt man von der risikolosen Bank

Das große, alles bestimmende Prinzip der europäischen Bankenaufsicht liegt in der Bekämpfung des Risikos. Das ist schon vom Ansatz her unsinnig, nachdem das Bankgeschäft seinem Wesen nach in der Übernahme von Risiken besteht. Der Traum der Aufseher ist eine Bank, die keine Verluste macht. Um dieses Ziel zu erreichen, greifen die staatlichen Kontrolleure tief in die Führung einer Bank ein und behindern ausnahmslos jede Maßnahme durch die Vorgabe von einzuhaltenden Bestimmungen. Mit dem unweigerlichen Effekt, dass man in den Banken dazu übergeht, möglichst nichts zu tun, um nicht mit den Regularien in Konflikt zu kommen und bestraft zu werden. Dieser katastrophale Effekt wirkt sich in erster Linie als Kreditbremse aus, wodurch die perverse Einstellung entsteht „Nur ein Kredit, den man nicht gegeben hat, ist ein guter Kredit!“ Die eigentliche Grundlage des Bankgeschäfts geht unter, wonach der Kunde mit dem Kreditgeld Werte schafft und die Bank von den Zinsen lebt.

Als ob die Regulierungen nicht schon schädlich genug wären, hat die Währungspolitik, ebenfalls in den vergangenen vierzehn Jahren sukzessive die Zinsen abgeschafft. Vermeintlich um den Kreditkunden zu helfen, bei denen die Kredite wegen der Regulierungen allerdings kaum angekommen sind, tatsächlich um die maroden Staaten bei der Finanzierung der Budgets zu unterstützen. Womit man die perverse Argumentation erweitern kann: Wenn man wegen der Regularien kaum Kredite vergeben kann und die Finanzierungen, die doch zustande kommen, wegen der Niedrigzinsen nur einen geringen Ertrag bringen, dann ist doch die massenweise Schließung von Bankstellen naheliegend, geradezu selbstverständlich.

Nicht nur das Kreditgeschäft, auch die Wertpapiersparte geriet in die Mühlen der Regulierung

Basel III und die Folgebestimmungen sind aber nicht das einzige Übel. Während Basel III den Kredit dezimiert hat, sorgte das Regelwerk MiFID für die Störung des Wertpapiergeschäfts. Die Berater müssen die Interessenten solange eindringlich vor den Risiken warnen, bis die Kunden nach Möglichkeit keine Aktie und auch sonst keinen Anteil an einem Unternehmen kaufen. Das genaue Gegenteil müsste der Fall sein: Die Banken sollen vor allem die Chancen an den Aktienbörsen aufzeigen und nicht nur die ohne Zweifel zu berücksichtigenden Risiken betonen.

Mit MiFID droht aber den Bankmitarbeitern die Keule der nachträglich festgestellten Falschberatung, wenn sich eine Veranlagung negativ entwickelt. Unter diesen Umständen lässt man die Chancen ungenützt, weil auch Verluste entstehen können. Eine weitere Wirtschaftsbremse durch die Regulierung.

Vor allem: Die Banken kennen die Kunden, die Geld brauchen, und die Kunden, die Geld haben. Die beiden über die Vermittlung von Beteiligungen zusammenzuführen, wäre immer eine attraktive Aufgabe und besonders, wenn das Kreditgeschäft durch die Regelwerke unter Druck steht. Aber: Erstens spielt diese Tätigkeit im traditionellen, europäischen Bankgeschäft keine große Rolle. Außerdem kann auch dabei etwas schief gehen und da lässt man aus Angst vor den als Risiko-Polizisten agierenden Aufsehern lieber die Finger davon.

Fazit: Der Schaden für die Wirtschaft ist enorm und die Banken können die Ertragspotenziale beim Kredit und bei den Veranlagungen nur beschränkt nützen.

Die Missbrauchsbekämpfung dürfte nie das Geschäft selbst beeinträchtigen

Niemand leugnet, dass manche Kredite nicht zurückgezahlt werden, manche Wertpapiergeschäfte mit Verlust enden, dass auch Betrügereien in beiden Bereichen stattfinden. Es ist aber verantwortungslos und unsinnig, im Interesse einer Missbrauchsbekämpfung zwei wesentliche Elemente einer funktionierenden Volkswirtschaft zu lähmen.

Wie absurd die Aufsicht agiert, sei an Beispielen demonstriert. So muss eine Bank einen Kunden, eine Kundin, bei einer Kontoüberziehung von mehreren Wochen sofort als gefährdet einstufen. Da mag ein Vielfaches an Vermögen bei der Bank liegen, eine Kontoüberziehung ist für die Aufseher jedenfalls ein Alarmsignal. Selbstverständlich auch der Ausfall der Zahlung einer Kreditrate. In der Folge wachsen die Statistiken über Kreditausfälle und Kunden mit schlechter Bonität und man kann aus den Daten nicht ersehen, ob es sich um tatsächliche Pleitiers oder vermögende Kunden handelt, die schlampig sind oder momentan ein vorübergehendes Problem haben.

Das Kreditmanagement in schwierigen Phasen ist die Königsdisziplin der Banken

Mit dem Begriff „vorübergehendes Problem“ können Aufseher überhaupt nichts anfangen. Sie verlangen im Gegenteil, dass Schuldnern, die in Schwierigkeiten sind, der Geldhahn prompt zugedreht wird. Dass es zu den Königsaufgaben einer Bank gehört, attraktive Unternehmen durch eine Krise zu begleiten, wird nicht zur Kenntnis genommen. Mehr noch: Man traut den Bankmitarbeitern nicht zu, zwischen einer aussichtslosen Krise und einer momentanen Problematik unterscheiden zu können. Nimmt eine Bank das Risiko, also ihr eigentliches Geschäft, ernst, hilft in einer Problemphase einem Kunden, einer Kundin und scheitert das Projekt letztlich doch, dann schlägt die Aufsicht strafend zu.

Mit dieser Politik wird seit Jahren die Entwicklung der europäischen Wirtschaft gebremst, Start-Ups haben kaum die Möglichkeit einen Kredit zu bekommen, erfolgreiche Unternehmen in Schwierigkeiten haben kaum eine Überlebenschance.

Eine öffentliche Finanzmarktaufsicht ist unverzichtbar. Aber nicht mit der aktuellen Praxis

Hier könnte der Eindruck entstehen, dass jede Finanzmarktaufsicht abzulehnen sei. Im Gegenteil. Eine öffentliche Aufsicht ist unverzichtbar. Allerdings müssten sich die Aufseher auf das Wesentliche beschränken und den einzigen, entscheidenden Faktor kontrollieren: Ist das jeweilige Institut in der Lage, die eingegangenen Risiken im Verlustfall zu verkraften, wie sieht die Ausfallsquote aus, die über die Jahre zeigt, ob die Bank verantwortungsvoll handelt oder nicht. Die Einmischung in alle Details ist für die Mitarbeiter unerträglich und bremsend, die Aufseher verlieren in der übereifrigen Kontrolle den Blick für das Wesentliche.

Diese den Bankenalltag belastende Praxis wird durch ein noch groteskeres Phänomen begründet. Die Aufseher müssten so genau kontrollieren, weil doch die Banken jederzeit gefährdet wären. Das ist vor allem bei den Großbanken nichts ganz falsch, da sie trotz aller Vorschriften recht unbekümmert riskante Spekulationen betreiben können. Allerdings ist dieser Umstand paradoxer Weise auch eine Folge der falsch verstandenen und fehlgeleiteten Bankenaufsicht.

Die fatalen Folgen der Ablehnung des Trennbankensystems

In den Jahren nach der im Herbst 2008 ausgebrochenen Krise, die durch nicht fundierte Spekulationen ausgelöst wurde, wäre es naheliegend gewesen, ein Trennbankensystem einzuführen.

1. Eine Gruppe von Banken ist mit der Vergabe von Krediten an Unternehmen, Private und öffentliche Stellen sowie mit der Verwaltung der Einlagen von Kunden befasst. Die Institute müssen sich an Höchstkreditgrenzen halten und dürfen keine riskanten Spekulationsgeschäfte machen. Die Einhaltung dieser Regeln überwacht die Finanzmarktaufsicht und überlässt im Übrigen den Profis das Bankgeschäft.

2. Die andere Gruppe von Finanzinstituten fährt ein hohes Risiko, die Kunden müssen wissen, dass sie das komplette eingesetzte Geld verlieren können. Im Spekulationsbereich sind alle Teilnehmer sich selbst überlassen und die Aufsicht ist nicht gefordert. Im Krisenfall gibt es keine Hilfe aus einer solidarischen Einlagensicherung und auch nicht vom Staat.

An dieser Stelle ist an den leider vergeblichen Einsatz von Erkki Liikanen zu erinnern, dem Gouverneur der finnischen Nationalbank von 2004 bis 2018. Der kluge Wirtschaftspolitiker schrieb, sogar im Auftrag der EU, gemeinsam mit Kollegen ein Gutachten, in dem er die Einführung des Trennbankensystems empfahl. In den USA wurde zu dieser Zeit die Trennung durch ein Spekulationsverbot für Kommerzbanken auf Empfehlung des früheren Präsidenten der US-Nationalbank Fed, Paul Volcker, durchgesetzt. Die Bestimmung hat bis heute die Bezeichnung „Volcker-Rule“. Der damalige US-Finanzminister Timothy Geithner eilte nach Europa um einen aufsichtsrechtlichen Gleichklang zu erreichen, scheiterte aber mit seiner Initiative.

Einige Banker, allen voran der Generaldirektor der Deutschen Bank, Josef Ackermann, protestierten gegen die Aufgabe des so genannten „Universalbankenprinzips“, in dem Kleinsparbücher und Kleinkredite gemeinsam mit Milliarden-Spekulationen gemanagt werden. Die deutsche Regierung unter Angela Merkel unterstützte die Position Ackermanns. Die beiden Zuständigen in der EU, Michel Barnier in der Kommission und Othmar Karas im Parlament verwarfen das von ihnen bestellte Liikanen-Gutachten und schickten das unglückliche Basel III auf die Reise. Bis heute wird in der EU-Kommission und im EU-Parlament immer wieder an dem fatalen Bankenpaket herumgedoktert, statt Basel III endlich zu entsorgen.

Europas Volkswirtschaft bleibt immer stärker hinter den anderen Blöcken zurück

Der schlechte Ausgang der damaligen Diskussion bestimmt bis heute das europäische Bankwesen. Die Institute sind deutlich schwächer als die US-Konkurrenten, die zur Aufgabe der verlustreichen Spekulationen zwar erst mit der Volcker-Rule gezwungen werden mussten, aber heute mit dem Kommerzgeschäft ausgezeichnete Bilanzen schreiben. Die Europäer beneiden die Amerikaner, doch es kommt nicht zu einer Trendumkehr, im Gegenteil, die Regulierungen werden ständig umfangreicher.

Die europäische Volkswirtschaft bleibt hinter den großen Blöcken immer stärker zurück, wozu die geschilderte Entwicklung der Banken entscheidend beigetragen hat und immer noch beiträgt. Zum Abschluss ein Hinweis: In den USA gibt es auch eine strenge Bankenaufsicht, aber Basel III und die Folgeregelungen wurden bewusst nicht umgesetzt.

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Ronald Barazon

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.

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